»Ich lebe hier allein in einer Garage, zusammen mit einem Laptop und einer alten Handgranate. Es ist wahnsinnig gemütlich.« 
»Ich möchte einen Termin für eine Einäscherung buchen.«
»Einen Termin buchen?«
»Genau.«
»Aha. Ja ... wie war noch mal der Name?«
»Herbjörg María Björnsson.«
»Hallo? Ich kann den Namen in der Liste nicht finden. Haben Sie den Antrag auf Einäscherung schon eingereicht?«
»Nein, nein. Ich möchte einen Termin für mich buchen. Für mich selbst.«
»Naja, wir bearbeiten ihn nicht, bevor ... na, Sie wissen schon ... also bevor, äh ..., bevor die Leute tot sind, okay?«
»Gut. Wenn es so weit ist, werde ich tot sein. Darauf können Sie sich verlassen. Also, wenn's eng wird, komme ich einfach vorbei, und ihr schiebt mich lebend in den Ofen.«

Hallagrimus Helgason hat erneut ein Meisterwerk geschaffen, mit dem sich erneut nicht jeder anfreunden können wird. Isländische Skurrilität liebkost knüppelharten Sarkasmus - ummantelt von bittersüßem Wortwitz, über den man nicht lachen, und sagenhafter Traurigkeit, über die man nicht weinen kann. Schade, dass nicht mehr Menschen sich mit Literatur dieser Art anfreunden können.

Wer bereits mit der Schreibart des isländischen Kultautors vertraut ist, wird dieses Buch verschlingen. Aber Vorsicht - leichte Lektüre sieht anders aus. Bisweilen muss man sich während des Lesens Verschnaufpausen gönnen und die Worte auf sich wirken lassen.

Herbjörg ist mit ihren 80 Jahren, ihren gefakten Facebookaccounts und ihrer Handgranate sicher keine alte Dame, die man sich gerne als Großmutter wünscht. In harter und zugleich bildhafter Sprache nimmt sie den Leser mit auf eine Resie quer durch das 20. Jahrhundert, während bereits der Ofen für ihre Einäscherung auf Hochtouren heißläuft. Herbjörg ist weder nett noch liebenswert - sie ist durchtrieben, zynisch und bisweilen weltfremd. Dennoch wächst sie einem mit jeder Seite mehr ans Herz, und man schluckt des öfteren, während sie ihr Leben vor unseren Augen Revue passieren lässt.

Als greise Enkelin eines ehemaligen isländische Präsidenten kann Herbjörg auf eine bewegte Lebensgeschichte zurückblicken. Von ihren vier Kindern haben nur drei überlebt - die sie nun in ein Pflegeheim abschieben wollen, aus dem sie kurzerhand getürmt ist. Altersheim? Nein danke - viel lieber verschanzt sie sich mit einem Laptop, einer Handgranate und ihren Erinnerungen in der Garage und schwelgt genüsslich in den Wunderwelten der modernen Netzwelt, während sie sich auf ihre kleine, persönliche Apokalypse vorbereitet. Sie erzählt den Leser von den reichhaltigen Facetten ihres Lebens - den Schrecken des Zweiten Weltkrieges, Aufenthalten in Argentinien, Deutschland, Dänemark oder Island und anderen Anekdoten ihres bewegten Lebens. Dies alles in derart knochentrockenem Zynismus, dass man manchmal meint, den brettharten Panzer der Greisin nicht knacken zu können.

Kaum ein anderer Autor bringt es fertig, den Leser über unfassbar traurige Dinge schmunzeln zu lassen und ihn im nächsten Moment emotional niederzuschmettern, mit einem Wort, einem Satz, unfassbarem Leid. Ein Buch, amüsant geschrieben, und doch keineswegs amüsant in sich selbst. Oft muss man sich entscheiden, ob die Tränen im Anschlag der Freude oder der Trauer gelten.

Wer sich dennoch traut, auf die Reise zu gehen, wird dieses Buch sicher nicht mit der letzten Seite abschließen - und sicher nicht nur einmal lesen. Ich plädiere für das Wagnis - es lohnt.

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